Corbinian sagt tschüss

Mal ganz im Vertrauen…

Entbehrliche Gedanken zum Thema:

Alles hat seine Zeit

GRIECHISCHE ZEITEN

Wie sieht´s aus – haben Sie einen Augenblick Zeit? Dann könnten wir ja mal kurz darüber reden, was das eigentlich ist: Die Zeit.

Wie Sie vermutlich wissen, wird jede seriöse Betrachtung über den Lauf der Welt eingeleitet mit dem unverzichtbaren Hinweis: “Schon die alten Griechen…”

Die hatten zu ihrer Zeit noch kein Fernsehen und kein Internet. Also verfügten ihre ruhmbekränzten Denker und Philosophen wohl über reichlich Bedenkzeit. Herr Aristoteles, Herr Plato und die anderen Klugherren konnten sich – was das Universum und seine Beschaffenheit angeht – mit ihren tiefsten Gedanken in höchste Höhen emporschwingen – und das ohne jeden Zeitdruck. So gewannen sie nach und nach eine Reihe zeitloser Erkenntnisse, auf die wir selbst heute noch gern zurückgreifen.

Das erspart uns zeitraubendes Eigendenken.

ALLES FLIESST?

Manchmal haben sie sich allerdings auch geirrt, die Griechen.

Nehmen wir Herrn Heraklit (550 – 480 v.Chr.): Die Legende berichtet, er habe so lange über unser Dasein nachgegrübelt, bis er schließlich herausfand:

Es gibt auf der Erde nirgendwo und nirgendwann einen Stillstand – alles ist fortwährend in Bewegung und erneuert sich ohne Unterlaß. Nie strömt dasselbe Wasser den Fluß hinunter.

“PANTA RHEI – ALLES FLIESST”

Aber das stimmt so nicht!

Als wir z.B. neulich auf der A 7 Richtung Hannover nach Hause fuhren, gerieten wir hinter Kassel in einen Stau. Es floß zeitweise gar nichts mehr. Stattdessen: Totaler Stillstand. Unsere Fahrzeit für knapp fünf Kilometer betrug 94 Minuten. Da war von Herrn Heraklit und seiner schönen Theorie nix zu merken. Von wegen “panta rhei”! Will heißen: Auch die alten Griechen lagen manchmal falsch. (Die neuen ja erst recht.)

NUR JETZT KEINE WISSENSCHAFT!

Eventuell werden Sie hier einwenden: “So hat der Heraklit das wohl auch nicht gemeint! Außerdem besaß er vielleicht gar kein Auto. Und die A7 war damals noch ein einspuriger Trampelpfad.”

Da haben Sie natürlich recht. Nebenbei: Über das Wesen der Zeit an sich haben die Menschen bereits herumgegrübelt, seit ihr Gehirn überhaupt die Arbeit aufgenommen hat. Inzwischen gibt es unendlich viele kluge Gedanken und Schriften zu diesem Thema, bis hin zu Einstein, dem vor lauter Nachdenken schließlich sogar die Zunge raushing. (Das betreffende Foto kennen Sie vielleicht.)

Da kann sich schon mal jemand vertun.

Heute definiert man den Begriff “Zeit” als eine physikalische Erscheinung, welche von einer unumkehrbaren Abfolge von Ereignissen und Veränderungen gekennzeichnet ist, die sich fortwährend von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft bewegt. Die Gegenwart wird dabei als ein einziger Punkt aufgefaßt, der im nächsten Augenblick schon wieder vorbei ist. (Frei nach Wikipedia)

Aber, liebe Leserschaft – wollen wir uns ernsthaft mit derlei Tiefsinnigkeiten belasten? Ein alter Freund von mir hat es mal so formuliert: “Die Zeit ist immer da.” Das reicht doch eigentlich.

LEBENSZEIT – DAUER UNBEKANNT

Wenn also die Zeit immer gegenwärtig ist, so bleibt uns nichts anderes übrig, als – einmal an sie ausgeliefert – uns für eine gewisse Dauer mit ihr herumzuschlagen, bevor wir wieder im Nichts versinken. Das nennen wir “Lebenszeit”. Die ist pro Person unterschiedlich lang, und gottlob weiß niemand, wann seine jeweils endet. Bis dahin hält das Schicksal Tag für Tag Dinge für uns bereit, mit denen wir irgendwie zurecht kommen müssen:

Da hast Du! Nun sieh zu! Alles klar? Also dann: Auf geht´s! Verlier´ keine Zeit! Und wenn´s mal gar nicht klappen will: Kommt Zeit – kommt Rat!

Urknall, Lichtjahre, Urzeit (ohne “h”), graue Vorzeit, Steinzeit, Eiszeit… Gemessen an diesen Zeiträumen des Universums ist unsere Verweildauer auf Erden in der Tat fast gleich Null. Unser kostbares Leben ist nichts weiter als ein winzigstes Teilchen der Unendlichkeit, welches man uns zum Probieren überläßt. Bei einem nachdenklichen Blick in den nächtlichen Sternenhimmel frage ich mich immer wieder:

Wie soll unser armes Spatzenhirn das alles begreifen? Wie denn klarkommen mit diesen Dimensionen? Ach, schließlich bleibt nur der Rückzug in das Ghetto unseres beschränkten Menschen-Verstandes. Dort geht es freilich recht eng zu – aber man findet sich mit der Zeit doch wenigstens einigermaßen zurecht.

DIE ZEIT IST ÜBERALL

Unerleuchtet bleiben wir freilich auch hier. Aber wir merken das nicht sofort. Im Gegenteil:

Obwohl wir alsbald rings um uns her ein ständiges Werden und Vergehen beobachten, gaukeln unsere beschränkten Sinne uns anfänglich sogar eine Art ewiges Leben vor. Die Regale sind gefüllt: Glückliche Kinderzeit, aufregende Jugendzeit, wilde Sturm- und Drangzeit, rauschende Hochzeit, Arbeitszeit, Gleitzeit, Urlaubszeit, Altersteilzeit… Täglich haben wir es zu tun mit Uhrzeit (mit “h”), Mahlzeit, Freizeit, Halbzeit, Nachspielzeit, Sommerzeit, Winterzeit… Wir gehen routiniert um mit Begriffen wie “zeitgleich, zeitversetzt, zeitlos, zeitraubend, zeitsparend…” Sogar einen Zeitgeist haben wir, der uns sagt, wo es langgeht. Wir haben vermeintlich alle Zeit der Welt.

Doch Achtung: Ehe wir es recht bemerken, hat der Zahn der Zeit uns schon in Arbeit, sind wir schon “in die Jahre” gekommen. Begriffe wie “früher” oder “damals” schleichen sich immer öfter in unser Vokabular ein. Die Kinderzeit – lange her. Die erste Liebe – oh Gott ja! Die Lehrzeit – au weh! Das Berufsleben – überstanden! Die Enkel – goldig! Das Rentnerdasein – lange frühstücken. Die Gesundheit – naja. Und wenn wir erst zu der Einsicht gelangen: “Früher war alles besser”, dann sind wir bereits auf der Zielgeraden.

ALLES HAT SEINE ZEIT

“Tempus fugit – die Zeit entflieht”. (Damit die alten Römer auch mal zu Wort kommen.) In Wahrheit ist es genau anders herum: Wir sind es, die vergehen. Die Zeit aber ist immer gegenwärtig.

Wir können sie zwar heute mit der Atomuhr bis auf sechzehn Stellen hinter dem Komma genau bestimmen. In der Formel 1 entscheidet eine Tausendstelsekunde, welcher Rennfahrer morgen auf Startplatz Eins steht.

“Keine Panik! Laß dir Zeit!” Ja wann denn? Das Jahr ist um, ehe es richtig begonnen hat …

Wir können die Zeit exakt messen – aber aufhalten können wir sie nicht. Und zurückholen erst recht nicht.

Wir haben endlose Radtouren unternommen – heute sitzen wir im Rollstuhl. Mit heißen Köpfen haben wir am Tresen nächtelang über das Leben diskutiert – heute hocken wir mit kalten Füßen vor dem Bildschirm.

Wir sind auf Berge gestiegen und haben Gipfel bezwungen – heute fahren wir mit dem Senioren-Bus in die Heide zum Kaffeetrinken. Wir denken immer seltener an das, was wir tun wollen – aber immer öfter an das, was wir getan haben.

Es hat eben alles seine Zeit.

UND SONST SO ?

Einige dieser Gedanken kamen mir, während wir neulich auf der B73 Hamburg-Cuxhaven hinter Hemmoor für fast 50 Kilometer einem containerbeladenen LKW folgten, der mit einer “Geschwindigkeit” zwischen 40 und 50 km/h eine immer länger werdende Kolonne resignierender Verkehrsteilnehmer hinter sich versammelte. Wer die B73 kennt, weiß, daß Überholen einem Selbstmordversuch gleichkommt – besonders im abendlichen Berufsverkehr. Nur einige Radfahrer schafften es.

Also bat ich meine Beifahrerin, die unübertreffliche Gattin Lieselotte, sie möge mich kurz vor dem Cuxhavener Kreisel wecken. Sie machte – wie immer – einen Gegenvorschlag: Ich solle doch lieber gelassen weiterchauffieren, während sie ihrerseits ein Nickerchen halten wolle. Unser famoses Hundemädchen Jutta hatte es sich derweil auf der Rückbank längst bequem gemacht und schlief.

Ich hatte also Zeit, über dies und das nachzusinnen. Z.B. über meine bevorstehende – letzte – Kolumne. Wenn nun die Zeit der “entbehrlichen Gedanken” hiermit zu Ende geht: Was ist eigentlich mit jenen, die uns von Anbeginn darin begleitet haben?

Erbtante Berta ist ja mittlerweile gestorben. Sie hat das Zeitliche gesegnet, wie man so sagt. (Ich weiß immer noch nicht richtig, wie das wohl geht.) Hinterlassen hat sie uns nichts, denn sie war ja keine echte Tante, sondern nur eine ausgedachte. Trotzdem ruhe sie in Frieden.

Die anderen leben. Sie gehen – je nachdem – ihren Geschäften nach. Kann sein, daß sie dabei etwas langsamer geworden sind. Hundemädchen Jutta allerdings entwickelt im Fall einer Katze nach wie vor eine für ihr ehrwürdiges Alter verblüffende Höchstgeschwindigkeit.

GÜNNI, DER VIEL SCHÖNER HEISST

Nur Günni befindet sich weiterhin im Stress. Irgendwie, so will mir manchmal scheinen, fühlt er sich dort am wohlsten. Es gab zwischendrin Mußestunden. In einer solchen heckten wir zusammen die Kolumnen-Schreiberei aus. Das war damals beim Pichelwirt an der Weinstraße. (Siehe Kolumne Nr.1 “Was könnte man denn mal schreiben?”). Ohne ihn und seinen rastlosen Geist hätte es diese Beiträge wohl nie gegeben. Deshalb sollten die paar Unentwegten, die sie gelesen haben, neben dem unfähigen Autor bitte auch den umtriebigen Initiator nicht ganz vergessen …

Günni also ist mittlerweile Vollbürger von Stickenbüttel geworden und verrichtet im dortigen Umland eine gute Tat nach der anderen. So kennt man ihn halt. Auf seinem Weg zur Unsterblichkeit ist unser Kontakt leider ein wenig reduziert, und statt des berühmten Grauburgunders gibt es gelegentlich mal ein gemeinsames Fischbrötchen. Die Verbindung wird trotzdem nicht abreißen. Vielleicht braucht er mich ja irgendwann als Redenschreiber – wie alle Menschen in gehobenen Positionen.

Obwohl: Notfalls vermag er durchaus auch allein zu fantasieren.

FINALE

So viel Zeit muß noch sein:

Jenen, die sich durch einzelne oder womöglich alle Kolumnen gekämpft haben, sei hiermit mein Dank ausgesprochen und meine Anerkennung. Wir hatten zusammen zwei schöne Jahre. Aber:

Alles hat seine Zeit.

Und darum nun:

TSCHÜSS, IHR LIEBEN!

Euer Corbinian Wagenseyl

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

19 + sechs =